Gefangenschaft | 1944-1947
Eingekesselt
zwischen russischen und amerikanischen Kampfeinheiten begab sich Erwin Sehrt, geleitet von einem pragmatischen Überlebensimpuls, freiwillig in die
Obhut der amerikanischen Kriegsgefangenschaft. Obwohl die Lebensumstände für ihn tragisch waren, schöpfte er gerade daraus einen starken künstlerischen Impuls, der zu dem vorliegenden Werk von ihm führte. Hier fand Erwin Sehrt die Zeit, über die reine Chronistenaufgabe hinauszuwachsen, hin zu seiner Vorstellung von dem Umgang mit Schuld und Vergebung, wie er bereits zum Kriegsende mit seinem Gedicht 'Das Gericht' begonnen hatte.
Uns bleibt ein Trost
Uns blieb ein Trost, die wir
von Anbeginn
Das Wachsen von Dämonen um uns spürten, Wie Menschen, gleich Bestien unverhüllt, Einst ganze Völker auf die Schlachtbank führten Uns blieb ein Trost, wenn auch der Opfer Schrei Noch lange wird in unser'n Ohren klingen, Als Lüge, Wahnsinn, Hass und Teufelei Die Herrschaft über Völker wollt' erringen; Uns blieb ein Trost, dass der Dämonen Welt Und schlüge sie auch noch so hohe Wellen, An unser'n Herzen einmal doch zerschellt, Die mutig sich den dunklen Mächten stellen. Uns blieb ein Trost, dass mancher sich doch fand, Der seine Abscheu länger nicht verhüllte; Die auch nicht schwiegen, als durch Henkershand Das Schicksal vieler Braver sich erfüllte. Uns blieb ein Trost, als der Koloss zerbrach, Der grausam hielt gefesselt uns're Glieder. Wir fühlten nicht der Niederlage Schmach, Nein, als Erlöste grüssten wir die Sieger! Uns blieb ein Trost, weil wir das Wort gehört, Dass man uns wollt' die Brüderhände reichen; Doch von dem Siegestaumel noch betört Verstanden jene nicht der Stunde Zeichen. Uns bleibt ein Trost, wenn Hass und Rache nun Noch immer in die Herzen sich ergießen, Weil alle, die im Leben Unrecht tun, An ihrer Schuld doch einst zerbrechen müssen. Uns bleibt ein Trost in der Verzweiflung Nacht, Dass einmal muss Gewalt und Rachsucht weichen, Weil allezeit ein Schöpfer drüber wacht, Dass Bäume niemals bis zum Himmel reichen! |
Gedicht + Photographie: Erwin Sehrt
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Ins Stammbuch
Geh nur getrost in die
Zukunft,
wie dunkel sie jetzt auch erschrecke. Heilt doch der Schrecken nicht Furcht und Angst nicht das drohende Grauen. Wuchern auch jetzt auf Europas mit Blut gedüngten Gefilden Hass und Vergeltung empor und es bluten noch immer die Wunden. Dennoch kreisst schon in dem Leide ein neues, verheißendes Werden. Gütiger Herzen bedarf's und der Starken, die nimmer verzagen, Die auch im Dunkel den Schein und im Schmerz schon Erlösung verkünden. wuchs doch im Toben der Schlacht und beim Streiche der sengenden Waffen. Ganz überwältigend schon in den Bestand das Staunen und Fragen. Lasst uns dabei nicht ruh'n, bei dem Forschen und wissenden Suchen. Laßt uns begraben das Schwert jenes Hasses und ätzenden Misstrauens! Über die trennende Kluft und die Hürden des sonderden Haders. Wirf nur dein Herze hinüber und knüpf die zerschnittene Bande. Jenseits der eigenen Grenzen, sieh, stehen die anderen Brüder. Wie ihre Sprache auch sei, und wo immer die Wurzel sich senkte, Immer ernähr'n sie sich doch aus demselbigen Geiste Europas. Stärke ihr Herz mit der eig'nen verzehrenden Sehnsucht nach Frieden Und weit darüber hinaus mit Verständnis und ehrender Achtung. Daraus erwachse die Kraft zu des ew'gen Gesetzes Erfüllung, Der un're Zukunft entquillt; es heisst: Leben erhalten und Güte. Gedicht + Photographie: Erwin Sehrt |
Ostern
In Nacht und Kälte lag erstarrt die Welt,
Gedeckt vom Schnee in tiefem, weißem Schweigen. Kein Sternlein diese Finsternis erhellt, Als wollt' sich nie ein Hoffnungsschimmer zeigen. Da kam die Sonne, stieg in neuer Pracht, Vollführte hoch am Himmel ihren Reigen; Bis alles Leben aus dem Schlaf erwacht Und Blumen dankbar ihre Köpfe neigen. Das Bächlein murmelt mit vertrautem Klang, Aus Vogelkehlen tönen Jubellieder, Weil wieder Licht die Finsternis bezwang Und damit endlich kehrt der Frühling wieder. Er breitet weit die silberhellen Schwingen Wenn von den Türmen Osterglocken klingen. Auch in den Herzen ist es leer und kalt. Wir sind durch Leid und Dunkelheit gegangen. Doch weiter herrscht Vergeltung und Gewalt, Noch immer muß man vor dem „Morgen“ bangen. Wenn erst das Wort wird allgemein bekannt: „Erlösung kann das Schwert uns niemals bringen.“ Wenn man den Weg zum fernen Kreuze fand Wird endlich Friede in das Herze dringen. Dann ist es mehr als bloßes Frühlingswehen, Denn nun heißt Ostern wirklich Auferstehen. Gedicht + Photographie: Erwin Sehrt
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Stacheldraht
Drähte, gespickt mit Stacheln viel
Sind um uns her gespannt. Setzen den Schritten bald ein Ziel, Hemmen den Blick in das Land. Zäune sind um uns aufgestellt, Hängen an Pfosten schwer – Trennen uns von der ander'n Welt. Stacheldraht - - Kreuz und quer. Doch die Gedanken hemmen sie nicht, Die in die Ferne geh'n. Deutlich seh' ich der Liebsten Gesicht, Höre ihr leises Fleh'n. Innig steigen die Bitten empor: Laß uns nicht untergeh'n; Leihe Du weiter Dein gnädiges Ohr, Schenk uns ein Wiederseh'n. Doch ein viel stärkeres Drahtgewirr Noch alle Herzen umspannt. Lüge und Hass, sie sorgen dafür, Dass eine Mauer entstand. Mehr noch als aller Stacheldraht Die von dem Nächsten uns trennt. Ehe die Stunde der Heimkehr naht, Jeder die Schranke erkennt. Wenn erst die Wahrheit und Gottes Gebot Herrschen statt Heuchelei, findet ein Ende auch unsere Not, Dann erst sind wirklich wir frei. Gedicht + Photographie: Erwin Sehrt
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Für Dich
Hin
schwingt sich über Höhen dort
Mein Blick in grüne Fernen – Und schaut und sucht in einemfort Und späht nach frohen Sternen, Die einstens – ach wie ist es weit – ein großes Glück beschienen, - Die still mit ihrem Glanz geweiht, Was unser war, - und ihnen. Nun teilt den Himmel Stacheldraht In lauter blaue Stege. Ich ging sie mit Dir tiefbeglückt, Da uns der Frühling weit entrückt Auf schmale, leichte Wege, In Blüten, Duft und grüner Saat. Gedicht + Photographie: Erwin Sehrt
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Menschen im Schatten
I
Ein grauer Zug zieht stumm daher, Staub liegt auf bleichen Wangen. Auf Allen lastet trüb und schwer verzweiflungsvolles Bangen. II Man hat euch damals ausgesandt, Von Frau und Kind gerissen, Zu streiten für das Vaterland; Für Viele war's ein „Müssen“. |
III
In jedem Herzen blühte zart nach Glück ein heiss' verlangen; ein blindes Schicksal traf euch hart. Und jetzt - - seid ihr gefangen. IV Die Sonne geht schon bald zur Ruh', Ein Windhauch will sich regen; Ihr aber schreitet immerzu Der Dunkelheit entgegen. |
Gedicht + Photographie: Erwin Sehrt
Friede auf Erden
Friede auf Erden,
So läuten die Glocken daheim. Mitten im Weltengetümmel Dringt eine Botschaft vom Himmel In unser'n Alltag hinein. Friede auf Erden, Wir standen im Tosen der Schlacht. Spürten von neuem das Grauen; Mussten nach vorne nur schauen, Einsam in finsterer Nacht. Friede auf Erden? Wir sehen nur Hassen und Streit. Immer noch müssen wir bangen, Weiterhin sind wir gefangen Und unsere Lieben so weit. Friede auf Erden? Ach käme doch einmal die Zeit, Wo sich die Menscheit verstände, Brüderlich reichte die Hände, Endlich zu stillen das Leid. Friede auf Erden, Wann wird es einst Wahrheit sein? Wenn sich der Botschaft, der süßen, Erst alle Herzen erschließen, Kehrt er für immer ein. |
Gedicht + Photographie: Erwin Sehrt
Weihnachten 1945
Weihnachtsgruß 1945
Auch diesmal will es wieder
Weihnacht werden,
In dunkle Tage strahlt ein heller Schein. Es soll auch längst schon Friede sein auf Erden, Und doch, mein Schatz, kann ich nicht bei Dir sein. In Stacheldraht hält man mich noch gefangen; Zu sühnen Taten, die man nie beging. Ich schwebte in der Ungewissheit bangen, Die wie ein Richtschwert über'm Haupte hing. Von meiner Seele ward die Last genommen, Nun glänzt die Sonne wieder doppelt schön. Ich habe endlich einen Brief bekommen Und Weiss, dass wir uns nun bald wiederseh'n. Ich denke Dein am Abend wie am Morgen. Ich denke Dein, wenn Stille um mich ist. Ich denk' es mir, so schön, für euch zu sorgen, Ich denk' daran, wie süß Du mich geküsst. Wenn dann die Glocken wieder leis' erklingen; Es kommt der Tag mit seiner Lichter Schein, Dann eil ich zu Euch auf der Sehnsucht schwingen, Und werd' im Geiste immer bei Dir sein. |
Gedicht + Photographie: Erwin Sehrt
Sehnsucht
Ein kleines Wort, zart wie
ein Hauch
In meinem Herz sich regt, Aus Nebeln steigt ein Bild dann auf, Das Deine Züge trägt. In Einsamkeit ward ich gestellt, Die Trennung drückt so schwer - - Solange mir Dein Lächeln fehlt, Ist Nacht es um mich her. Solange Du nicht bei mir bist, Fühl' ich mich nur allein, Solange mich Dein Mund nicht küsst, Kann ich nicht glücklich sein. Im Traume bist Du oft mir nah', Wenn Du an mich gedacht; Doch ehe ich Dich deutlich sah, in meist ich aufgewacht. In meinem Hoffen und Gebet Wünsch ich mir ohne Ruh', Von morgens früh bis abends spät Nur eines, das bist Du. Ein kleines Wort, zart wie ein Hauch, So innig mich bewegt; Und strahlend steigt ein Bild dann auf Dass Deine Züge trägt. |
Gedicht (geschrieben zum Geburtstag meiner lieben Frau Hilde, 29.01.1946) + Photographie: Erwin Sehrt
Heimat
Schmerzend fühl ich Heimat
wehen,
Raunt der Wind sein Lied im Draht. In dem bunten Herbste sehen Meine Augen einen Pfad. Tausendmal bin ich gegangen, Und mein Herz tat weh dabei. Herz, mein Herz, wer kann dich fangen? Schwing dich auf, - du bist doch frei! Fühlst du Sklave dich den Mächten? Rädchen dich im Weltenlauf? Wachen doch in deinen Nächten Die geborg'nen Träume auf. In den Nächten, in den Träumen Wacht für dich der helle Stern. Und in den geheimen Räumen Bist du nicht mehr fremd und fern. Sieh, die Hände Gottes leiten Dich aus Schmerzen zum Gewinn, - Führen dich aus allen Weiten Immer in die Heimat hin. |
Gedicht + Photographie: Erwin Sehrt
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